Dorns Kolumne - Dezember 2017

Perspektiven - Dorns Kolumne

Wahrheit der Fiktion

Seit jeher hat nachdenkliche Menschen das Verhältnis von Wahrheit und Fiktion interessiert. Und je nach dem, wie man dieses Verhältnis begreift, hängt es an dem zugrunde gelegten Begriff von Wahrheit, der seinerseits - auf den Film bezogen - wieder vom Kunstverständnis abhängen kann.

Auf diesem weiten Feld folge ich dem christlichen Wahrheitsverständnis, was den Inhalt und die Sprache betrifft:

„Wer den Geist einer Zeitepoche tiefer verstehen möchte, darf nicht allein ihre Geschichte, sondern muss auch ihre Literatur und Kunst studieren. Die künstlerischen Werke zeigen oft den Charakter eines Volkes, sein Wünschen, Denken und Fühlen besser als reine Beschreibung. Auch dann, wenn die Kunst sich über diese reale und konkrete Welt erhebt und Gestalten der Phantasie entwirft, ermöglicht sie einen wertvollen Blick in das Wesen und die Eigenart des Menschen. Sogar Geschichten, die der lebhaften Einbildungskraft des Dichters entspringen, in denen er Menschen in einer fiktiven Welt leben und handeln lässt, geben auf ihre Weise ein Bild der Wahrheit. Obwohl sie keine Realität besitzen, sind sie doch realistisch, da sie aus Elementen der menschlichen Natur zusammengefügt sind. Solche Werke reichen bis in die tiefen Gründe menschlicher Kraft und Leidenschaft. Sie verfügen diese so aufzuhellen, dass feinfühlige Menschen darin Umrisse künftiger menschlicher Entwicklungen sich abzeichnen sehen und sie in ihrem Denken vergegenwärtigen.“ (CeP, 56)

Das Zitat ist der Päpstlichen Pastoralinstruktion „Communio et Progressio“ (CeP) – also „Gemeinschaft und Fortschritt“ von 1971 entnommen, die für mich auch heute noch als „Magna Charta“ der sozialen Kommunikation gilt und eine fundierte Orientierung bietet. Gleich in der nächsten Ziffer (CeP, 57) folgt der Hinweis, dass ein Filmstoff wie die Dichtung ein Bild der Wahrheit vermitteln kann: „Auch das ist ein Beitrag zum sittlichen Fortschritt; denn Kunst und Sittlichkeit zwar voneinander klar geschieden, sind doch keine Gegensätze, sondern bedingen und stützen einander.“

Bei der Frage nach der Wahrheit der Fiktion stößt man sprachlich an eine Grenze, wenn man Wahrheit als Richtigkeit versteht. Auf die Richtigkeit hin kann ich überprüfen, ob die Regeln der Logik eingehalten sind, die objektiven Information sachlich stimmt, die Erkenntnisse der exakten Wissenschaft beachtet sind, kurz: ob die Fakten stimmen. Aber man kann mit keiner Faktensprache ausdrücken, „wenn man sich Luft machen will und sagen möchte, was einen erfüllt, was verborgen und fast unaussprechlich ist. Wenn es sich um Liebe und Tod, Gott und den Menschen handelt.“ Dafür braucht es eine zweite Sprache, in der wir ausdrücken, was uns etwas bedeutet.

Die Wiener Professorin für Religionspsychologie und Praktische Theologie, Susanne Heine, hat in ihrem Buch „Die christliche Matrix. Eine Entdeckungsreise in unsichtbare Welten“ diesen Sachverhalt erörtert. Sie hat aufgezeigt, dass sich nur mit dieser Sprache der Bedeutsamkeit, die Wahrheit der reinen Fiktion ausdrücken lässt: „Dazu müssen Geschichten erzählt, Bilder und Metaphern verwendet werden.“

Heine weist darauf hin, dass die Sprache der Bedeutsamkeit auch die Sprache der Religionen ist. „Wer die Bibel ... aus historischer Perspektive liest, stößt wohl auf einige unbestreitbare Fakten. Ausgrabungen und alte Dokumente bestätigen, dass es sich nicht nur um schöne Literatur handelt. Aber die Bedeutung der Fakten und die Geschichten, die dazu erzählt werden, bleiben dem Blick von außen verborgen. Gerade auf sie kommt es aber an, wenn man herausfinden will, was etwas bedeuten soll.“

Doch die Sprache der Bedeutsamkeit ist nicht Spezialsprache der Religion oder der Kunst. Sie ist unsere Sprache von Kindheit an, wenn wir etwas beurteilen, etwas schön und hässlich, gut oder schlecht finden, wenn wir sagen wollen, dass wir etwas schätzen oder verabscheuen, lieben oder hassen. Mit den Worten von Susanne Heine gesagt: „Das alles sind Bedeutungen, die sich auf Fakten beziehen, Fakten freilich sind mehrdeutig und können Deutungen vielleicht korrigieren, aber nicht aushebeln.“ Und das Beispiel, das sie anführt, könnte einer Filmszene entnommen sein: „Ein Mann schenkt seiner Frau eine Rose; sie muss herausfinden, was das bedeutet, ob es aus Liebe, aus Bewunderung, aus schlechtem Gewissen oder als Bitte um Vergebung geschieht.“ (Alle Zitate Heine, a. a. O., S. 47f)

Die Wahrheit der Fiktion kann sich aus der Erzählung ergeben. Dem Autor obliegt es, ob er aus dem Zusammenhang für eine Eindeutigkeit sorgen will oder nicht.

Öffnet ein Fenster zum Versenden der E-Mail Dr. Anton Magnus Dorn

 

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