Was ist eigentlich „Digitale Bildung“? Zunächst: „Digitale Bildung“ kann bedeuten, dass die neuen, digitalen Medien genutzt werden, um Inhalte aus der Welt in die Gesellschaft hinein zu vermitteln. Diese Aufgabe erledigten früher Bücher und andere Druckmedien, und mit der Erfindung der Photografie auch Bilder, die mit der Erfindung des Films laufen und sprechen konnten. Heute können sie weitgehend von digitalen Medien ersetzt werden, zumal diese die Vermittlung schneller, aktueller und anschaulicher leisten. Das ist ein Gewinn für den Alltag. Ähnliches gilt für die vielfältigen kreativen Möglichkeiten, die durch die neuen Medien eröffnet werden, bis in den künstlerischen Bereich hin.
Schon diese einleitenden Gedanken sind dem Editorial „Denken first – Digital second“ von Klaus Mertes in der Zeitschrift „STIMMEN DER ZEIT“ Heft 6 Juni 2018 entnommen. Klaus Mertes ist bei seinen Überlegungen weitgehend von den Anforderungen für den schulpädagogischen Alltag geleitet. Ich folge ihm bei dieser Kolumne in seinem Gedankengang, ohne die Zitate einzeln, um der besseren Lesbarkeit, zu kennzeichnen. Ich versuche seine Ausführungen im Blick auf die Relevanz der Bildungsarbeit von TOP: Talente darzustellen.
Das Problem, über das gegenwärtig in der politischen Debatte gestritten wird, ergibt sich aus dem Befund, dass nicht alle, insbesondere im ländlichen Bereich, über genügend oder genügend schnellen Zugang zum World-Wide-Web verfügen, um die Möglichkeiten des digitalen Mediums auch tatsächlich zu nutzen. Wenn in der Öffentlichkeit beklagt wird, Deutschland hinke im internationalen Vergleich hinterher, dann ist meist dieser Aspekt digitaler Bildung gemeint.
Doch mit „digitaler Bildung“ ist mehr gemeint. „Digitale Bildung“ will das Medium selbst zum Thema machen. Zu Recht. Jugendliche kommen zwar heute als „digital natives“ schon in die Schule und sind in der Regel Erwachsenen weit voraus, was die Nutzung der entsprechenden Geräte betrifft. Doch das bedeutet noch nicht, dass ihr Umgang damit souverän ist. Die Medien bloß zu nutzen garantiert keinen reflektierten Umgang mit ihnen. Reflexionsfähigkeit ist aber das Ziel von Bildung. Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen Erwachsene keineswegs dieselben Fertigkeiten in der Nutzung der Geräte wie Jugendliche zu haben.
„Digitale Bildung“ in diesem erweiterten Sinne ist heute bereits zum festen Bestandteil derjenigen geworden, die in jüngerer Zeit die Schule verlassen haben. Soviel haben die meisten von Informatik mitbekommen, dass sie gelernt haben, algorithmisch zu denken und zu verstehen wie Programmiersprache funktioniert und wie Rechner und Netzwerke gesteuert werden. Das heißt nicht, dass alle programmieren können müssen. Aufbau und Funktion eines Ottomotors werden ja auch im Physikunterricht vermittelt, obwohl nur die wenigsten später Motoren bauen werden.
Unsere Kultur ist aufgrund der digitalen Revolution global in eine Wendezeit eingetreten. Diese wird aus vielen guten Gründen mit anderen revolutionären Wendezeiten verglichen, zum Beispiel als der Buchdruck erfunden wurde. Wendezeiten verändern jedenfalls nicht bloß Einzelaspekte von Kultur, sondern verändern das Vorzeichen vor der Gesamtheit einer Kultur. Alles was vorher war, ist noch da, aber alles steht in einem anderen Licht und muss deswegen neu verstanden werden. „Digitale Bildung“ betrifft nicht nur einzelne Fächer, sondern das Gesamte. Wie verändert das Internet die Demokratie? Wie verändert es die Arbeitswelt? Was können Regierungen und Konzerne mit Big Data machen? Was ist künstliche Intelligenz? Welche neue Gerechtigkeitsfragen entstehen? Was bedeutet es zu sagen, dass Maschinen selbst „denken“ und „entscheiden“?
In diesen Zusammenhang gehören auch neue Baustellen im Zusammenhang mit Transparenz und Datenschutz. „Digitale Bildung“ als Befähigung zu einem ethischen Urteil schließt heute zwingend Standards einer „Ethik der digitalen Kommunikation“ ein. Das ist ein weites Feld auf das im Zusammenhang nur hingewiesen werden kann.
Was also ist „digitale Bildung“? Eigentlich ganz einfach: Über digitale Bildung verfügt, wer im Umgang mit digitalen Medien selbständig denken und urteilen kann. Bildung besteht nicht bloß in der Vermittlung von Fertigkeiten aller Art, sondern darin, dass Menschen sich im Umgang mit den Medien als denkende und kreative Subjekte entdecken, um sich als solche verantwortlich in der Welt bewegen zu können. Zuerst kommt das Denken, dann das (digitale) Medium. Letzteres ist Mittel zum Zweck. Debatten um „digitale Bildung“ verlieren das eigentliche Ziel aus dem Blick, wenn sie die Bedeutung des Mediums so sehr nach vorne schieben, dass das inhaltliche Anliegen von Bildung nur noch hinterher hinken kann. Es darf in Zeiten der digitalen Revolution um nicht weniger gehen als um Bildung im Sinne einer vertieften und verantworteten Urteilskraft freier Subjekte, die sich auch dann noch qualifiziert positionieren können, wenn die heute modernsten Medien in zwanzig oder vierzig Jahren schon wieder veraltet sind.
Um es abschließend noch einmal zu sagen: Diese Kolumne folgt im Wesentlichen den Ausführungen von Klaus Mertes, dessen Bildungsverständnis ich mich anschließe. TOP: Talente legt allergrößten Wert auf die Auseinandersetzung mit I n h a l t e n. Mir erscheint es wichtig, diesen Schwerpunkt unserer Arbeit zu betonen, damit das nicht bei allem Zwang zur Anpassung unserer Programme an das digitale Zeitalter aus dem Blick gerät. Das Diktum des kanadischen Kommunikationstheoretikers Marshall McLuhan: „the medium is the message“ - „Das Medium ist die Botschaft“ hat auf die Gefahr aufmerksam gemacht, dass und wie das Medium die Botschaft verändern kann.
Umso wichtiger ist es zu wissen, wie meine Inhalte und welche Formate Menschen heute erreichen. Früher wurden sie erzählt, dann geschrieben, später vertont und schließlich ins Bild gesetzt. Durch das Buch wurden wesentlich mehr Menschen erreicht. Radio, Kino und Fernsehen haben für eine noch größere Verbreitung gesorgt, und jetzt können durch die digitalen Möglichkeiten nahezu alle Menschen auf der Welt Inhalte abrufen. Wenn ich das weiß, nutze ich für meine Message das Medium, von dem ich ausgehe, dass es meine Leser, Hörer, Zuschauer am besten erreicht.
Kurz gefasst: Meiner Meinung nach bietet die Nutzung digitalisierter Medien die Möglichkeiten, Inhalte nicht nur weiter zu verbreiten, sondern auch sorgfältiger aufzubereiten, besser zu verstehen, wirksamer darzustellen und vielfältiger zu vermitteln.