Aus der Perspektive eines christlichen Menschenbildes sich für die Förderung von Autoren und kreativ Filmschaffenden einzusetzen, stößt bei werteorientierten Menschen auf echtes Interesse, bei anderen hingegen oftmals unvermittelt auf eine grundsätzliche Ablehnung oder zumindest skeptische Grundhaltung diesem Ansinnen gegenüber. Leider sind das nicht wenige. Selbst unter etlichen Kirchenleuten ist diese Skepsis weit verbreitet, wenn sie von dem Anliegen „fiktionale und dokumentarisch-dramatische Arbeit in Fernsehen, Film und Multimedia“ hören und es der Unterhaltung zuordnen, von der sie ohnehin nicht allzu viel halten.
Ich erinnere mich an die Reaktion eines Mannes anlässlich einer Veranstaltung auf der Berlinale. Stolz wies er mich darauf hin, dass sein Sohn einer der Preisträger sei. Ich erklärte ihm den Grund meiner Anwesenheit und übereichte ihm den Flyer von TOP: Talente. Sein Blick fiel unter der Überschrift „Wer sind wir?“ auf den Hinweis, dass sich unsere Arbeit am christlichen Menschenbild orientiert. Daraufhin wandte er sich mir etwas mitleidig zu: „Das christliche Menschenbild müssen Sie streichen, wenn Sie hier Erfolg haben wollen.“
Solche Ratschläge nicht zum ersten Mal hörend erklärte ich ihm, dass dies aber der ethische Maßstab für unsere Arbeit sei, die Grundlage für die Kritik an bestimmten Produktionen, unsere Haltung beschreibt, unsere Motivation stärkt… Im Laufe des Gesprächs stellte sich dann heraus, dass der Mann ein PR-Profi war.
Wir waren uns einig, dass die meisten Vorbehalte gegenüber dem Christentum aus Vorbehalten den Kirchen gegenüber resultieren, indem undifferenziert das Bild von den Kirchen mit dem Christentum identifiziert wird. Kein Wunder, wenn damit historische Gräueltaten und aktuelle Missbräuche virulent werden und auf Ablehnung stoßen. Mein Gesprächspartner kam von sich aus auf den Gedanken, dass die Übertragung 1:1 fragwürdig ist und meinte, dass man die Kirche wohl am sachlichsten kritisieren kann, indem man sie mit dem Verhalten Jesu konfrontiert. Leider wurde unser Gespräch unterbrochen. Er kam später nochmals auf mich zu: „Streichen war wohl der falsche Rat, aber wenn Sie schon unbedingt am christlichen Menschenbild festhalten wollen, müssen Sie das plausibel und nachvollziehbar erklären.“
Seither habe ich darüber nachgedacht und viel gelesen. Goethe ist nicht bekannt als Kirchgänger, eher als Kritiker, dennoch zeigt sich seine Wertschätzung gegenüber dem Christentum in seinem Gespräch am 11. März 1832 mit Eckermann: „Mag die geistige Kultur nun immer fortschreiten, mögen die Naturwissenschaften in immer breiterer Ausdehnung und Tiefe wachsen, und der menschliche Geist sich erweitern, wie er will, über die Hoheit und sittliche Kultur des Christentums, wie es in den Evangelien schimmert und leuchtet, wird er nicht hinaus kommen.“
Aus der Fülle an Literatur über das christliche Menschenbild erwähne ich hier nur zwei Bücher, mit denen ich mich intensiv auseinandergesetzt habe. Friedrich Wilhelm Graf, evangelischer Professor für Systematische Theologie und Ethik, hat in „Menschenbilderstreit in der Moderne. Missbrauchte Götter“ verschiedene christliche Menschenbilder aufgezeigt, die zwar auf das Gemeinsame abheben, aber jedes für sich das Ganze nicht erfassen. Und das im Auftrag der Konrad Adenauer Stiftung herausgegebene Sammelwerk „Das christliche Menschenbild. Zur Geschichte, Theorie und Programmatik der CDU“ macht schon die Parteilichkeit im Titel deutlich, weil es, wo es konkret wird, nicht ausschließt, dass es noch ein darüber hinaus gehendes Verständnis von christlicher Theorie und Praxis (anderer Parteien und der Gesellschaft) gibt.
Relativ einhellig in der Literatur ist die Feststellung, dass unser Grundgesetz auf dem Hintergrund des christlichen Menschenbildes beruht, von dem die Mehrheit des damaligen Parlamentarischen Rates überzeugt war. Daraus resultierten auch die Freiheitsrechte, u. a. das der Religionsfreiheit des Glaubens, des Gewissens und des Bekenntnisses. Am stärksten kommt das christliche Menschenbild im Artikel 1 zum Tragen:
„(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“
An dieser Stelle ein kurzes Zwischenresümee: Bislang wurde ausgeführt, was das christliche Menschenbild bewirkt hat und bewirken kann. Klar dürfte auch geworden sein, was damit nicht zu vereinbaren ist, nämlich alles Menschenverachtende, andere Menschen Diskriminierende. Sicher könnte man von diesem Ergebnis ausgehend, einfach von einem „humanistischen Menschenbild“ sprechen. Man wäre damit „den Stachel“, die Frage los, die auf die Beziehung zur Religion verweist. Ich bin der Meinung, man kann, sollte es aber nicht tun, auch wenn es eine intellektuelle Anstrengung erfordert. Von kreativ tätigen Menschen kann man erwarten, dass sie Religion nicht einfach ausklammern. Verlangt ist damit allerdings, sich mit dem Ganzen der Wirklichkeit auseinanderzusetzen.
Nun stammt von dem Philosophen Theodor W. Adorno das Diktum: „Das Ganze ist das Unwahre“, weil die Gefahr besteht, dass das Bemühen um das Ganze unwahr und schließlich überheblich und totalitär wird. Die Religionspsychologin Susanne Heine hält dagegen in ihrem Buch „Die christliche Matrix“ unter dem Stichwort „Horizonterweiterung“. Sie argumentiert mit dem Kronzeugen Goethe „Glaube ist Liebe zum Unsichtbaren, Vertrauen aufs Unmögliche, Unwahrscheinliche“ und kommt zu dem Schluss: „Verbunden mit der unsichtbaren Welt wächst die sichtbare zu einem Ganzen zusammen. Erst dieses Ganze ist das Wahre.“ (a.a.O., S. 13)
Der Verweis von „christlich“ auf die in der Bibel bezeugte Person Jesus bedarf meines Erachtens keiner weiteren Begründung. Wichtig ist, dass Menschen in seinem Umfeld geglaubt haben, dass er der Messias – übersetzt der Christus – ist, auf den gläubige Juden bis heute warten. Und von diesem Jesus glaubten seine Anhänger, die erst später als Christen bezeichnet wurden, dass er der wahre und einzige Sohn Gottes war und ist. Wer das glaubt und sich diese Aussage zu eigen macht, ist ein gläubiger Christ. Wen es interessiert, was das christliche Menschenbild aus der Sicht der verschiedenen Kirchen und christlichen Bekenntnis ausmacht, kann das unter diesem Begriff googeln und wird auf eine kaum zu bewältigende Fülle an Fachliteratur stoßen.
Hier im Zusammenhang geht es nicht um diesen religiösen Glauben, sondern um das Leben dieser historischen Person Jesus als menschliches Vorbild in seinem ethischen Verhalten. Er hat nicht nur die Nächstenliebe gepredigt, sondern sie bis zur Feindesliebes erweitert, die sich „humanistisch“ nicht begründen lässt. Sigmund Freud musste passen, als man ihn fragte, warum muss ich dem Nächsten Gutes tun. Jesus tat es und begründet es aus seiner Beziehung zu Gott, als seinem, unserem Vater, dem Schöpfer des Himmels und der Erde. Wir Menschen sind seine Kreatur und sein Ebenbild, und als seine geliebten Kinder untereinander Brüder und Schwestern.
An Dramatik hat es im Leben Jesu wirklich nicht gefehlt, von der Geburt in einem Viehstall bis zum Tod am Kreuz. Im Neuen Testament heißt es, dass er es aus Liebe auf sich genommen hat. Seine Gottesbeziehung, die in dem Bericht von seiner Auferstehung gipfelt, ist Sache des Glaubens und damit der Religion, deren Daueraufgabe es ist und bleibt, sich mit der menschlichen Freiheit und dem Problem von Leid und Kreuz auseinanderzusetzen in dem Wissen, dass Gott allem Schein zum Trotz darum weiß und uns liebt. Pater Rupert Mayer hat es auf den Punkt gebracht: „Denn wenn wir kurz das Christentum bezeichnen wollen, dann müssen wir sagen: Das Christentum ist die Religion der Liebe“
Was das christlichen Menschenbild ausmacht, komme ich für mich zu dem Ergebnis, dass es die Liebe ist. Die Liebe zu anderen Menschen, die Liebe zur Schöpfung und damit zu ihrer Bewahrung, die Liebe zur eigenen Tätigkeit, die Liebe als Maßstab und Motivation – auch um Autoren und kreativ Filmschaffende zu fördern und in einem werteorientierten Ansatz zu bestärken und zu unterstützen. Denn das ist das grundlegende Fundament des Anliegens von TOP: Talente.